Die Ende 2019 verabschiedete EU-Whistleblower-Richtlinie ist bis Ende 2021 in nationales Recht umzusetzen. Ein internes Meldesystem soll eingeführt werden, um für die Compliance relevanten Fälle melden zu können. Über Details und Hintergründe sprach die ESV-Redaktion mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Fissenewert von der Berliner Kanzlei Buse Heberer Fromm.
Whistleblower leisten einen Beitrag, um Gesetzesbrüche und Regelverstöße aufzudecken. Doch Deutschland tut sich beim Schutz von Whistleblowern bislang schwer. Wo stehen wir aktuell?
Peter Fissenewert: Ich glaube, wir stehen mittendrin, also zwischen Baum und Borke. Das Thema Whistleblowing fühlt sich für uns nicht gut an, und es ist einer dieser seltenen Fälle, wo man tatsächlich beim „Whistleblower“ bleiben sollte, weil es kein gutes deutsches Äquivalent zu diesem Wort gibt, allenfalls vielleicht „Hinweisgeber“. Immer noch falsch verstanden wird es mit „verpfeifen“ oder „anschwärzen“ übersetzt. Wir Deutschen haben einfach noch keine durchgängige Kultur mit diesen modernen und sinnvollen Themen, sind aber insgesamt auf einem guten Weg, wenn man sich überlegt, in welch kurzer Zeit wir Themen wie Compliance und Managerhaftung eingeführt und auch weitestgehend akzeptiert haben.
Was genau treibt Whistleblower an, diesen für sie durchaus gefährlichen Weg mit vielen Unwägbarkeiten und Risiken zu beschreiten?
Peter Fissenewert: Whistleblower sind Menschen, die illegales Handeln, Missstände oder Gefahren für Mensch und Umwelt nicht länger schweigend hinnehmen, sondern aufdecken. Dahinter steckt die Zivilcourage, Missstände aufzuzeigen. Zumeist handeln Whistleblower vor allem aus Pflichtbewusstsein, aus selbstlosen, ethischen, religiösen Beweggründen oder aus Gewissensgründen. In den USA und Großbritannien gibt es bereits Organisationen und Gesetze, die Whistleblower unterstützen und schützen. Jetzt nimmt auch in Deutschland das Bewusstsein um die Bedeutung von Whistleblowing und Zivilcourage für eine transparente, nachhaltige und auf ethischen Werten basierende Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu.
Wie lässt sich die US-amerikanische Gesetzgebung zum Whistleblowing kurz umreißen? Und was ließe sich daraus als Blaupause für Regelungen auch in Deutschland nutzen?
Peter Fissenewert: In den USA schützen Dutzende von Gesetzen Whistleblower vor Entlassung, Strafverfolgung und Schadensersatzklagen. Dort gibt es sogar Belohnungssysteme. In den Fällen, die zu Strafen von mehr als einer Million US-Dollar führen, werden Whistleblower belohnt. Dieses System wird trotz allem Whistleblowing-Verständnis durch viele Unternehmen torpediert, die nach wie vor mehr oder weniger offen ihre Mitarbeiter verpflichten, nicht an derartigen Programmen teilzunehmen. Grundsätzlich ist aber das Whistleblowing-Programm in den USA sehr erfolgreich und die SEC – die mächtigste Börsenaufsicht der Welt – spricht von einem „enorm erfolgreichen Whistleblower-Programm“, das sehr signifikante Informationen über schwere Verbrechen liefere. Bereits wenige Jahre nach Einführung des Prämienprogramms zeigt die Statistik, dass das staatlich geförderte Whistleblowing zunehmend Betrüger in Unternehmen auffliegen lässt.
Von welcher Größenordnung reden wir hier?
Peter Fissenewert: Bislang mehr als 1.000 Verfahren führten zu Strafen von jeweils mindestens einer Million Dollar. Die meisten der erfolgreichen Whistleblower erhielten Prämien unterhalb einer Million Dollar. Doch die Fälle üppiger Zahlungen nehmen zu.
Haben Sie ein prominentes Beispiel?
Peter Fissenewert: Im Jahr 2018 wurde die bislang höchste jemals bezahlte Belohnung für die Aufdeckung eines Firmenskandals gezahlt. Mit 83 Millionen Dollar honorierte die SEC die Offenlegung unzulässiger Geschäfte bei der Bank of America. Die drei Enthüller hatten Beweise geliefert, wonach bei der Tochtergesellschaft Merrill Lynch – die ehemalige Investmentbank ging im Zuge der Finanzkrise an die Bank of America – Kundengelder für eigene risikoreiche Geschäfte verwendet wurden. Das brachte Ermittlungen ins Rollen, an deren Ende 2016 eine Strafe von 415 Millionen Dollar für die Bank of America stand. Über die Identitäten und die gelieferten Informationen schweigt sich die Aufsichtsbehörde aus. Die Anonymität erlaubt den Whistleblowern ein normales Leben, sodass sie auch weiterhin an der Wall Street tätig sein können. Nicht einmal der Arbeitgeber Merrill Lynch kennt deren Identitäten.
Die Europäische Union setzt mit ihrer Whistleblower-Richtlinie wichtige Standards zum Schutz von Hinweisgebern in Europa. Welches sind aus Ihrer Sicht die zentralen Punkte?
Peter Fissenewert: Geschützt werden nicht nur Mitarbeiter, die Missstände melden, sondern auch Bewerber, sogar ehemalige Mitarbeiter, Unterstützer des Hinweisgebers und Journalisten. Diese Personen sind vor Entlassungen, Herabstufungen, negativen Meldungen, schlechten Zeugnissen und sonstigen Diskriminierungen zu schützen. Der Schutz bezieht sich lediglich auf das Melden von Missständen mit Bezug auf EU-Recht, darunter Steuerbetrug, Geldwäsche und Delikte im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen, Produkt- und Verkehrssicherheit, Umweltschutz, öffentlicher Gesundheit sowie Verbraucher- und Datenschutz.
Welche Wahl hat ein Whistleblower der Richtlinie zufolge, für Aufklärung zu sorgen?
Peter Fissenewert: Er kann einen Missstand intern im Unternehmen oder direkt bei der zuständigen Aufsichtsbehörde meldet. Wenn auf eine solche Meldung hin nichts geschieht oder der Whistleblower Grund zur Annahme hat, dass ein öffentliches Interesse besteht, kann er auch direkt an die Öffentlichkeit gehen. Geschützt ist er in jedem Fall. Ein zentraler Punkt ist auch die Pflicht zur Einführung von Sanktionen für Arbeitgeber: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, „angemessene und abschreckende Sanktionen“ unter anderem für den Fall einzuführen, dass Mitarbeiter gegen die Pflicht verstoßen, die Vertraulichkeit der Identität von Whistleblowern zu wahren und keine geeigneten Folgemaßnahmen einzuleiten.
Worin sehen Sie die Stärken und Schwächen der EU-Whistleblower-Richtlinie?
Peter Fissenewert: Die Richtlinie sieht den Schutz von Whistleblowern lediglich bei Verstößen gegen bestimmte Bereiche des EU-Rechts vor, ist also inhaltlich und räumlich beschränkt. Die Mitgliedsstaaten können allerdings den Schutzbereich im Zuge der nationalen Umsetzung erweitern und beispielsweise auch die Meldung von weiteren Verstößen gegen nationales Recht mit einbeziehen. Das hätte für den Whistleblowern den Vorteil, dass er die Unterscheidung zwischen nationalem und EU-Recht nicht eigenständig treffen müsste. Es fehlen klare Regelungen zum Schutz der Anonymität der Hinweisgeber. Es muss für Ausnahmefälle die Möglichkeit anonymer Hinweise geregelt werden. Außerdem müssen die Staaten verpflichtet werden, anonyme Anzeigen nicht ignorieren zu dürfen, sondern ihnen ernsthaft nachzugehen und ermitteln zu können.
Würden klare Regelungen es etwa Edward Snowden erleichtern, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, der auch angenommen werden würde?Peter Fissenewert: Edward Snowden wartet bisher vergeblich auf Asyl. Daran wird die Whistleblower-Richtlinie nichts ändern. Diese Richtlinie gewährt schon nicht den Whistleblowern der ganzen Welt Asyl; sie schreibt Leuten wie Snowden keinen globalen Schutzbrief. Aber sie schafft immerhin das rechtliche Bewusstsein dafür, dass ein Hinweisgeber, der in der EU gemeinschädliches Verhalten anzeigt, kein Verräter ist und Schutz benötigt. Die Richtlinie schafft die Möglichkeiten, Repressalien des Arbeitgebers gegen Whistleblower abzuwehren. Sie ermöglicht es, dass Skandale wie Panama und Paradise Papers künftig publiziert werden können, ohne dass die Hinweisgeber fürchten müssen, als Kriminelle behandelt zu werden. Die mögliche Strafbarkeit im eigenen Land bleibt hiervon auch möglicherweise unberührt.
Zur Person |
Prof. Dr. Peter Fissenewert ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Buse Heberer Fromm am Standort Berlin. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind das Wirtschaftsrecht und das Wirtschaftsstrafrecht und hier insbesondere das Gesellschaftsrecht, Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz, dazu Compliance-Beratung und Managerhaftung. Vor seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt arbeitete Peter Fissenewert unter anderem als Sprecher des Berliner Innensenators und führte bis 1995 die Geschäfte einer mittelständischen Unternehmensgruppe. Seit 2005 hält er eine Professur für Wirtschaftsrecht. |
Lesen Sie in Teil 2 des Interviews, welche weiteren Konsequenzen sich aus einem Whistlerblower-Gesetz ergeben und welchen Vorteil auch Unternehmen davon haben?
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