Die Fachgruppe „Compliance“ innerhalb des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (BUJ) nimmt einen Zeitungsbericht des deutschen Handelsblatts vom 25. Oktober 2012 zum Anlass, zu den dort berichteten Plänen der EU-Kommission, wonach die Mitgliedstaaten künftig finanzielle Anreize für sogenannte Whistleblower ausloben sollen, eine Stellungnahme abzugeben.
Die Fachgruppe begrüßt und unterstützt jegliche Maßnahmen der EU-Kommission, welche geeignet sind, das legitime Ziel der Etablierung „guter Unternehmensführung“ herbeizuführen und so gesetzeswidriges Handeln einzelner Unternehmensmitarbeiter zu unterbinden bzw. entsprechende Anreizsysteme für Unternehmen zu schaffen. Dies gilt auch für die wichtige Förderung des Schutzes von Mitarbeitern und Dritten, die in gutem Glauben das Unternehmen auf mögliche Missstände hinweisen.
Die Auslobung finanzieller Anreize für Personen, die gegenüber den Ermittlungsbehörden „besonders wichtige Informationen über mögliche Verstöße“ bereitstellen, hält die Fachgruppe jedoch für kein solchermaßen geeignetes Mittel, sondern sieht in ihr vielmehr die Gefahr, die Maßnahmen der Wirtschaft zur Umsetzung wirksamer Compliance zu konterkarieren.
Heute hätten viele deutsche Unternehmen mit erheblichem personellen und wirtschaftlichen Aufwand verbundene Compliance-Maßnahmen unternommen, um gesetzeswidriges Verhalten innerhalb der Unternehmen bestmöglich zu unterbinden. Auch seien vielfach compliancebezogene Meldewege wie etwa Hotlines oder Ombudsmann-Systeme eingerichtet worden, die es Hinweisgebern ermöglichen, auf Wunsch auch anonym und daher ohne eigenes Risiko Fehlverhalten an das Unternehmen zu melden. In dieselbe Richtung gingen ferner die Anstrengungen der Unternehmen, einen effektiven Schutz von Hinweisgebern vor Vergeltungsmaßnahmen zu etablieren. Zeugnis dieser Entwicklung sei nicht zuletzt die durch Unabhängigkeit und direkte Berichtswege an die Unternehmensleitung geprägte enorme Aufwertung der Compliance-Organisation innerhalb der Unternehmen selbst.
Für den fortwährenden Erfolg der dort beschäftigten Personen sei es jedoch unerlässlich, dass sie auch zukünftig für präventive und reaktive Maßnahmen zur Einhaltung allgemeingültiger Standards erkennbar verantwortlich zeichnen. Dies umfasse vor allem, dass sie weiterhin primärer Ansprechpartner für die Meldung etwaiger Gesetzesverstöße sind (was die Verwendung anonymer Meldesysteme oder die Einschaltung eines externen Ombudsmannes umfasst). Nur so könne sichergestellt werden, dass die ständigen Kommunikations- und Schulungsmaßnahmen, welche zum elementaren Bestandteil der Compliance-Tätigkeit gehören, nachhaltig wirken.
Finanzielle Anreize, Verstöße einzelner Mitarbeiter künftig direkt an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben, bergen der Fachgruppe zufolge die ernstzunehmende Gefahr, dass Compliance-Abteilungen zu einem wirkungslosen Verwaltungsapparat degradiert werden, und dass die besonders effiziente interne Bereinigung von gemeldetem Fehlverhalten durch das Unternehmen selbst in vielen Fällen nicht mehr erfolgen kann. Dies könne nicht im Sinne der Ermittlungsbehörden sowie der Gerichte sein, schätzen sie die Compliance-Verantwortlichen doch meist als auf Transparenz bedachte und somit wertvolle Ansprechpartner bei der Aufdeckung etwaiger Ordnungswidrigkeiten und Straftaten.
Zu beachten sei ferner, dass die allseits als wertvoll und sachgerecht angesehenen Kronzeugenregelungen – insbesondere im Bereich der Kartellverfahren, gerade im Zuständigkeitsbereich der EU-Kommission – weitgehend leerlaufen würden, wenn die Unternehmen keine eigenen Informationszuträger mehr hätten.
Auch ein Blick in die USA führt laut der Stellungnahme der Fachgruppe zu keiner anderen Einschätzung: Mit Section 922 des sogenannten Dodd Frank Act wurde dort ein Belohnungssystem für Hinweisgeber etabliert, das mit den hier zu diskutierenden Vorschlägen vergleichbar ist. Hierzu liegen noch keine belastbaren Analysen vor, ob diese Regelung überhaupt wirksam ist. Zudem hätten sich auch in den USA sich zahlreiche Verbände, Unternehmen und Fachexperten gegen die Einführung finanzieller Anreizsysteme für Whistleblower ausgesprochen.
Letztlich verweist die Fachgruppe auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in Deutschland zu den Loyalitäts- und Treuepflichten des Arbeitnehmers, wonach Vorschläge wie der von der EU-Kommission unterbreitete mit nationalem Recht kollidieren und somit für den betroffenen Mitarbeiter eine rechtliche Unsicherheit schaffen könnten.
Die Fachgruppe "Compliance" des BUJ bittet die EU-Kommission, ihre Vorschläge noch einmal zu überdenken.
Download der Stellungnahme vom 08. November 2012: BUJ
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