Eine Untersuchung zur Wahrnehmung und Implementierung. Von Esther Pittroff. Gabler Verlag, Wiesbaden 2011, 246 Seiten, 57,99 EUR, ISBN 978-3-8349-2995-2.
Compliance im heutigen Verständnis kam vor ca. 15 Jahren mit den großen Skandalen um ENRON und Worldcom auf. Nach diesen Fällen von Wirtschaftskriminalität wurden Rufe laut, die Unternehmen stärker in die Pflicht zu nehmen. Der Gesetzgeber erließ verschiedene Kodizes, Gesetze und Verpflichtungen, die Unternehmen verpflichten, Compliance- Maßnahmen – also Maßnahmen zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität – einzuführen. Den USA kommt hierbei eine Vorreiterrolle zu. In Deutschland kam die Diskussion um Compliance erst vor wenigen Jahren in Gang und befindet sich derzeit in einem Stadium der „blinden“ Übernahme und Einführung von Maßnahmen, ohne deren Wirksamkeit in Frage zu stellen oder empirisch zu erproben. Erst wenige Arbeiten gehen der Frage nach der Effizienz und Effektivität von Compliance-Management-Systemen nach und beschäftigen sich zusätzlich mit der Übertragbarkeit der US-amerikanischen Regularien auf das deutsche System. So auch der vorliegende Band, der sich mit dem sogenannten Whistle-Blowing auseinandersetzt. Das Whistle-Blowing ist ein Begriff, der dem angloamerikanischen Sprachraum entstammt und wörtlich für „die Pfeife blasen“ steht. Whistle-Blower sind Hinweisgeber oder Enthüller, die auf Missstände im Unternehmen hinweisen. Dafür können im Unternehmen Hinweisgebersysteme, Whistle-Blowing-Systeme, eingerichtet werden, die es den Mitarbeitern oder Externen ermöglichen, über verschiedene Kanäle (Telefonhotline, Intranet, Ombudsmann, etc.) einen Hinweis zu geben. Pittroff geht der Fragestellung nach, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Unternehmen ein solches Whistle-Blowing-System einführt – und wie dieses ausgestaltet sein muss, um effizient zu arbeiten. Sie untersucht dabei empirisch verschiedene Einzelaspekte: Ob deutsche Unternehmen das Thema Whistle-Blowing positiv oder negativ wahrnehmen, ob sich die Unternehmen des Nutzens von Whistle-Blowing bewusst sind, welche Faktoren für die Einrichtung eines externen (über bspw. eine Anwaltskanzlei) oder internen (im eigenen Unternehmen) Whistle-Blowing-Systems sprechen und ob eine gesetzliche Verpflichtung hilfreich ist.
Die Autorin nähert sich dem Themenbereich über ökonomische Theorien – der Neuen Institutionenökonomik und aus transaktionskostentheoretischer Sicht – und leitet den Nutzen von Whistle-Blowing sodann aus der Prinzipal-Agenten-Theorie und einer Verbindung der Agency-Theorie mit dem Shareholder-Value-Ansatz ab. Diese Perspektive ist relativ neu in der Diskussion um Compliance und bietet einen fruchtbaren Ansatz den Wert von Whistle-Blowing-Systemen einzuschätzen. Hiernach liegen die Vorteile eines Whistle-Blowing-Systems nicht nur in der Vermeidung von Fehlverhalten, durch Abschreckung aufgrund der höheren Entdeckungswahrscheinlichkeit und dadurch entstehenden negativen Konsequenzen, in Form von strafrechtlicher Haftung, materiellen Schäden oder Schadensersatzforderungen, sondern vielmehr in einer Reputationsverbesserung, die ebenso zu ökonomischen Vorteilen im Sinne des Shareholder-Value-Ansatzes beiträgt. Aufbauend auf der theoretischen Verortung in den neueren ökonomischen Theorien, beschäftigt sich die Autorin mit den Faktoren, die ein effizientes Whistle-Blowing-System ausmachen. Ein effizientes System ist zusammenfassend abhängig von drei Faktoren: Erstens der Glaubwürdigkeit und Machtposition des Hinweisgebers, zweitens der Glaubwürdigkeit und Machtposition des Adressaten des Hinweises und drittens der Unternehmenskultur und damit einhergehend der strikten Sanktionierung von aufgedecktem Fehlverhalten.
Das Herzstück der Untersuchung von Pittroff bildet der empirische Untersuchungsteil und dessen Ergebnisse. Dieser besteht aus zwei Teilen: Einer Inhaltsanalyse der Internetseiten der DAX-30 Unternehmen zum Vorhandensein und der Ausgestaltung der Whistle-Blowing-Systeme, die anhand eines Scoring Modells verglichen werden (Seite 127 ff.) und der Befragung von 72 deutschen Unternehmen zur Wahrnehmung der Kosten und Nutzen von Whistle-Blowing-Systemen (Seite 136 ff.). Pittroff kommt bezüglich des Scoring Modells zu dem Ergebnis, dass 26 der DAX-30 Unternehmen Angaben zu dem implementierten Whistle-Blowing-System im Rahmen des Internetauftrittes machen. Volle Punktzahl erreicht die Siemens AG, die alle nachvollzogenen Kriterien erfüllt. Dies ist sicherlich eine Konsequenz aus der Siemens-Affäre, die im Jahr 2006 ihren Anfang nahm und das Unternehmen rund zwei Milliarden EUR kostete. Bei vier der Unternehmen (Deutsche Börse AG, adidas AG, BMW AG und Commerzbank AG) wurden keine Angaben zu einem Whistle-Blowing-System gefunden. Fraglich bleibt jedoch, wie auch die Autorin resümiert, ob diese Angaben reines „window-dressing“ sind, da die schlichte Erwähnung auf der Internetseite kein Indikator für die tatsächliche Nutzung des Systems darstellt. Daher hat sie im nächsten Schritt eine Befragung deutscher Unternehmen durchgeführt. Die befragten Unternehmen nehmen Whistle-Blowing zunächst zum großen Teil als etwas Positives wahr. Ein direkter Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Implementierung eines solchen Systems haben der Abbau von Risiken und eine Stärkung der Reputation als Vorteile des Whistle-Blowing-Systems, die Motivation des Adressaten der Hinweise, ein ausgebauter Informationszugang und die Vertrautheit als Ausgestaltungseigenschaften und der Index und die Größe des Unternehmens. Interessant ist, dass eine gesetzliche Verpflichtung dazu führt, dass das Unternehmen dem System einen geringeren Nutzen beimisst, als dies die Unternehmen tun, die das Whistle-Blowing-System auf freiwilliger Basis eingeführt haben. Die wichtigste Erkenntnis ist jedoch, dass die Einrichtung eines Whistle-Blowing-Systems nachweislich positive Effekte auf die Reputation des Unternehmens hat und somit langfristig den Cashflow steigert.
Alles in allem stellt „Whistle-Blowing-Systeme in deutschen Unternehmen“ eine wichtige Erweiterung der deutschen Forschungslandschaft zum Thema Compliance dar, da eine Verbindung von Empirie und ökonomischer Theorie geschaffen wird, die gleichzeitig brauchbare Ansätze für die Praxis bietet. Bisher existieren zu wenig empirische Arbeiten über Compliance im Allgemeinen und Whistle-Blowing im Speziellen im deutschen Sprachraum. Diese Erkenntnisse sind jedoch wichtig, um die Bedeutung von Compliance für Deutschland zu verstehen und an die Bedürfnisse deutscher Unternehmen angepasste Compliance-Management-Systeme zu entwickeln. Denn nur so kann die Effizienz und damit ein Nutzen dieser Systeme gewährleistet werden.
Kristin Kißling, Diplom-Soziologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Leipzig am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht
Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Heft 6/2014
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