Von der Stammesmoral zur Ethik der Globalisierung. Von Bernd Noll, W. Kohlhammer, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-020025-8
Den großen Wurf versucht das Buch „Grundriss der Wirtschaftsethik“. Es beschreibt die ethischen Grundlagen des wirtschaftlichen Handelns der Menschen von den steinzeitlichen Stämmen bis hin zur globalisierten Moderne. Dabei vereinigt der Autor volkswirtschaftliche, philosophische und theologische Sichtweisen. Damit ergibt sich für den Leser ein beeindruckendes Bild über die wirtschaftsethischen Fragestellungen. Die historische Entwicklung ist kenntnisreich und umfassend dargestellt. Der große Wurf darf – ungeachtet aller Probleme bei der notwendigen Auswahl aus der immensen Fülle von beachtenswerten Entwicklungen und Theorien – als gelungen bezeichnet werden.
Besondere Schwerpunkte legt der Autor bei den Bezügen von Wirtschaftsethik und Religion. Ausführlich geht der Autor auf die Entwicklung der modernen Arbeitsmoral ein. War es in der griechischen und römischen Antike noch unstatthaft selbst zu arbeiten, so entwickelte sich in der christlichen, insbesondere in der protestantischen Welt ein Arbeitsethos, das leistungsloses Einkommen brandmarkt und wirtschaftlichen Erfolg als Prädestination für das Jenseits ansieht. Ausführlich beschreibt der Autor auch die soziale Marktwirtschaft, die zur Grundlage des Wirtschaftssystems in der Bundesrepublik Deutschland wird. Hier wird zu Recht die Ehrenrettung des Begriffs „Neoliberalismus“ betrieben. Dieser Begriff – inzwischen nicht mehr nur bei Linken ein Kampfbegriff – beschreibt eine Einstellung, bei der die Wirtschaft eine dienende Funktion für den Wohlstand oder allgemeiner gefasst für das Glück der Menschen hat. Damit verbirgt sich hinter dieser Weltanschauung sehr wohl das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, bei der allerdings der Freiheit des Einzelnen eine besondere Rolle zukommt. Herausgearbeitet wird hier auch die Bedeutung der Haftung als Korrelat zur unternehmerischen Freiheit. Wer handelt, muss auch für die Folgen gerade stehen. Ein Grundsatz, der gerade in der Finanz- und Schuldenkrise immer mehr in Vergessenheit geraten ist, wird damit in seiner großen Bedeutung für das Funktionieren der Marktwirtschaft herausgehoben. Im letzten Kapitel werden die modernen Herausforderungen der Wirtschaftsethik im Zeitalter der Globalisierung dargestellt.
Insgesamt stellt der Band eine sehr interessante Lektüre dar, die viele Denkanstöße für den Leser bereithält. Der Unternehmenspraktiker, der sich eine Diskussion tatsächlicher unternehmerischer Fragestellungen, die zu ethischen Dilemmata führen können, wünscht, wird allerdings enttäuscht sein. Der Band ist eine historische Gesamtdarstellung aller wirtschaftsethischer Entwicklungstendenzen auf volkswirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Ebene. Wie sich einzelne individuelle Wirtschaftssubjekte, seien sie Verbraucher, Arbeitnehmer oder Unternehmer, verhalten sollen, wird nur am Rande gestreift. Damit ist der Band eine sehr anregende Hintergrundlektüre, bei der man allerdings den unmittelbaren praktischen Nutzwert umsonst sucht. Dieser ergibt sich mittelbar aus den vielseitigen Anregungen, die man aus der Lektüre mitnehmen kann.
Prof. Dr. Stefan Behringer, EBC Hochschule Campus Hamburg
Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance, Heft 1/2012
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